Auf ein Weißbier mit Waldemar Hartmann

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    Dies ist ein Beitrag von Nachhaltigkeit-im-Fußball.de.

    Gastautorin Dr. Alexandra Hildebrandt im Interview mit Waldemar Hartmann über Selbstbestimmung, Stammtischkultur, echte Freundschaft, Breitensport, Alter und den gesunden Menschenverstand.

    Dr. Alexandra Hildebrandt: Weshalb ist es wichtig, im Leben immer auch sein „eigenes Ding zu machen“ mit dem Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten?

    Waldemar Hartmann: Weil mir schon mein Vater beigebracht hat, sich in erster Linie immer auf sich selbst zu verlassen. Ich weiß selbst am besten, was ich kann. Aber ich weiß auch, was ich nicht kann. Dabei gilt natürlich, selbst auch sein ehrlichster Kritiker zu sein. Hilfreich ist es, wenn – wie in meinem Fall – eine Frau an der Seite ist, die bedingungslos zu dir steht.

    Dr. Alexandra Hildebrandt: In Ihrem Buch „Dritte Halbzeit“ schreiben Sie, dass Sie immer „Hummeln im Hintern“ hatten, die sie immer weiter trieben. Wo sind Sie heute? Warum braucht ein spannendes und erfülltes Leben immer auch Ruhelosigkeit, Ungenügen, Spaß, Neugier und Lust an neuen Erkenntnissen?

    Waldemar Hartmann: Heute hat sich die Lage verändert, weil ich mich nicht mehr im täglichen Hamsterrad drehe. Ich kann selbst bestimmen, was ich mit welcher Intensität betreibe und verfolge. Wahrnehmen von Einladungen, ob zu Referaten, Diskussionen oder Buchlesungen nehme ich nicht mehr nur wegen finanzieller Ausstattung an. Der Spaßfaktor ist erheblich wichtiger geworden. Wie zum Beispiel bei meinen wöchentlichen Kolumnen für die 18 Tages-Zeitungen des Madsack-Verlages.

    Dr. Alexandra Hildebrandt: Wann haben Sie die in Ihrem Buch beschriebene “Qualität als Rampensau“, dieses „Ich-scheiß-mir-nix-wenn-mich-alle-anschauen“, für sich entdeckt? War es die Zeit, in der Ihnen auch bewusst wurde, dass Sie ein fantastisches Gedächtnis haben?

    Waldemar Hartmann: Eigentlich schon in der Schule, sehr zum Leidwesen der meisten Lehrer. Ich habe beim Theater der Jugend im Nürnberger Schauspielhaus mitgespielt und schon als Bub bei Sportveranstaltungen den „Kasper“ gemacht. Später als Discjockey waren das Mikrofon und der direkte Umgang mit Menschen mein tägliches Brot.

    Dr. Alexandra Hildebrandt: Wie erklären Sie sich im Nachgang den Erfolg von “Waldis Club”?

    Waldemar Hartmann: Wir haben zu später Stunde an einem Stammtisch über Fußball geredet. Wie an tausenden anderen Stammtischen im Land eben auch. Nicht mehr mit der fast wissenschaftlichen Analyse oder trockenen Aufarbeitung wie vorher. Vor allem haben wir die Sprache des Fußballs und der Fans gesprochen. Der Spaß kam dabei nicht zu kurz. Danach richtete ich auch die Gästewahl aus.

    Dr. Alexandra Hildebrandt: Warum braucht eine Gesellschaft, die immer komplexer und schnelllebiger wird, eine Stammtischkultur? Lässt sie sich im digitalen Zeitalter überhaupt noch pflegen?

    Waldemar Hartmann: Gerade im anonymen digitalen Zeitalter ist die Stammtischkultur wichtig. Da muss man sich mit Menschen austauschen oder auch auseinandersetzen, die leibhaftig mit am Tisch sitzen und nicht über Skype oder sonstige Technik teilnehmen. Menschen müssen mehr miteinander reden und nicht über 140 Zeilen belanglose Unwichtigkeiten austauschen. Nichts ersetzt den direkten Umgang der Menschen miteinander!

    Dr. Alexandra Hildebrandt: Weshalb ist es wichtig, sich in Sport, Medien, Wirtschaft und Gesellschaft auch mit selbstbestimmten Individualisten zu beschäftigen?

    Waldemar Hartmann: Weil nur sie die Ideen und Vorstellungen außerhalb des Mainstreams einbringen. Weil Individualisten eben nicht gleichgebürstet sind und auch mal gegen den Strom schwimmen. Das muss ja nicht immer der richtige Weg sein, aber es ist der Hinweis, dass es auch noch andere Lösungen gibt.

    Dr. Alexandra Hildebrandt: Braucht die Sportberichterstattung mehr Mehmet Scholl, weil er klug und unterhaltsam ist und Ihrer Meinung nach eine ganz eigene Farbe ins Programm bringt?

    Waldemar Hartmann: Nicht nur die Sportberichterstattung bräuchte mehr Schollis. Schauen Sie sich mal die Berichterstattung von Parteitagen an. Ritualisiert und ausgewogen bis zur Langeweile.

    Dr. Alexandra Hildebrandt: Haben Sie die Erfahrung gemacht, dass die „Direkten“, die die Dinge klar und zuweilen auch kritisch auf den Punkt bringen, nicht auch besonders einsam sind?

    Waldemar Hartmann: Es stimmt, es geht ihnen wie den Sündenböcken. Die gehören auch nicht zur Gattung der Herdentiere. Oder es gilt die Erkenntnis, dass man den Verrat liebt, aber nicht den Verräter. Viele warten erst mal ab, wohin der Hase läuft und ob er am Ziel heil ankommt. Wenn das mal der Fall ist, ist die Zahl derer, die es „schon von Anfang an“ auch so gesehen haben, dann plötzlich sehr ansehnlich.

    Dr. Alexandra Hildebrandt: Welchen Einfluss hat die Kommerzialisierung des Sports auf sein eigentliches Wesen? Was ist vom Sport, der er einmal war, heute geblieben?

    Waldemar Hartmann: Im Amateurbereich ist fast alles so wie immer. Weil dort im Prinzip noch weniger Geld vorhanden ist als früher. Die ganze Kohle geht in den Spitzensport und dort auch nur in die populären Sportarten. Der Breitensport kämpft um jeden Cent. Dabei wird dort meist erfolgreicher Sozialpolitik betrieben als im staatlich verordneten Bereich. Die Sportler selbst feiern Siege oder erleiden Niederlagen noch im ursprünglichen olympischen Sinn. Teilnehmen ist wichtig.

    Dr. Alexandra Hildebrandt: Weshalb sind Journalisten Ihrer Meinung nach selten solidarisch?

    Waldemar Hartmann: Weil ihnen ein Berufsbild eingebläut wird, das Distanz erfordert. Besonders beim Sport kommt es da zu aberwitzigem Verhalten. Die meisten Sportjournalisten sind ja auch irgendwie Fans. Auf der Pressetribüne schickt es sich aber nicht, ein Tor des Vereins zu bejubeln, auch wenn es der Verein ist, in dessen Bettwäsche man als Junge geschlafen hat. Da sollten Sie mal den Kollegen des ORF bei Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften vor allem beim Wintersport zuhören. Dann wissen Sie, wie das ist, wenn sich Journalisten mit Sportlern solidarisieren.

    Dr. Alexandra Hildebrandt: Was macht für Sie einen guten Moderator aus?

    Waldemar Hartmann: Wenn er nicht versucht, Moderator zu spielen.

    Dr. Alexandra Hildebrandt: Welche Bedeutung haben für Sie Stimme, Gang und Gesicht Ihrer Gesprächspartner?

    Waldemar Hartmann: Ganz ehrlich: Überhaupt keine. Ich bin ja kein Visagist oder Castingredakteur. Mich interessiert, was meine Gesprächspartner zu sagen haben.

    Dr. Alexandra Hildebrandt: Was zeichnet ein gutes Gespräch aus? Entwickelt es sich einfach ohne konkretes Ziel und Absicht? Wird es einfach hingetragen durch Hören, Fragen, Sprechen und Schweigen während des Zuhörens?

    Waldemar Hartmann: Ja. Das sind alles Voraussetzungen für ein „gutes“ Gespräch. Natürlich muss der Interviewer versuchen, von seinem Gesprächspartner die relevanten Dinge herauszukitzeln, die das Publikum interessieren. Das funktioniert aber nicht mit einer vorbereiteten Fragenliste, die man dann abarbeitet. Der Befragte muss schon auch das Gefühl haben, dass den Frager das auch wirklich interessiert, was er da wissen will.

    Dr. Alexandra Hildebrandt: Weshalb können heute so wenig Menschen zuhören? Und wie können sie es wieder lernen?

    Waldemar Hartmann: Weil ein Smartphone in der Regel nicht spricht und Kommunikation heute überwiegend über sogenannte soziale Netze stattfindet. Vor allem junge Menschen reden ja kaum noch direkt miteinander. Zur Aufnahme von Informationen aus der Berufswelt oder relevanter Nachrichten sind technische Geräte ja hilfreich, aber im privaten Bereich sollen die Menschen einfach wieder miteinander reden.

    Dr. Alexandra Hildebrandt: Wie ist es Ihnen gelungen, für Ihre Gesprächspartner stets eine angenehme Atmosphäre zu schaffen? Schafft das Duzen ein besonderes Gefühl der Nähe, das ein gesieztes Interview niemals erreicht?

    Waldemar Hartmann: Das Duzen ist da kein Allheilmitel. Ich habe Menschen auch nur geduzt, wenn ich auch im „richtigen „Leben mit ihnen per Du war. Mit den Anderen war ich natürlich per Sie. Im Übrigen sind Gesprächspartner ja nicht zu einem Verhör ins Studio eingeladen. Sie heißen ja auch „Studiogast“. Als solchen sollte man sie auch behandeln.

    Dr. Alexandra Hildebrandt: Ihre „Weißbier-Geschichte“ mit Rudi Völler am 6. September 2003 führte zu einem freundschaftlichen Verhältnis zwischen Ihnen beiden, weil sie etwas Gemeinsames haben, das Sie verbindet. Kann es Freundschaften nur geben, wenn sie mit einer konkreten Geschichte verbunden ist?

    Waldemar Hartmann: Freundschaften hängen nicht wirklich von gemeinsamen Erlebnissen ab. Ich unterscheide sehr wohl unter den Begriffen „Freund“ und- auf bayrisch- einem „Spezi“. Einen echten Freund habe ich einen Einzigen.

    Dr. Alexandra Hildebrandt: Was macht für Sie echte Freundschaft aus?
    Waldemar Hartmann: Ehrlichkeit, Offenheit, Hilfsbereitschaft, „Dasein“.
    Dr. Alexandra Hildebrandt: War Ihre ehemalige BR-Kollegin Petra Schürmann eine Freundin für Sie? Wenn Sie Menschen in Ihrem Buch beschreiben, so ist sie diejenige, für die Sie die warmherzigsten Worte finden: „geerdet“, „normal“, „Herzensbildung“, „Überportion an Menschlichkeit“…

    Waldemar Hartmann: Petra war in erster Linie ein wunderbarer Mensch und eine unaufgeregte, bodenständige Kollegin, mit der ich auch gerne mal außer Dienst bei einem Wein saß. Petra konnte gönnen und sich auch für andere freuen.

    Dr. Alexandra Hildebrandt: Sie schreiben in Ihrem Buch auch, dass sich mit Harald Schmidt, mit dem sie bei den Olympischen Spielen 2006 und 2008 die Late-Night-Show “Olympia mit Waldi & Harry” moderierten, eine „gefühlte Freundschaft“ entwickelt hat. Was ist damit gemeint?

    Waldemar Hartmann: Genau das, was ich vorher beschrieben habe. Wir funkten auf einer Wellenlänge im beruflichen Bereich und verstanden uns aber auch im privaten Umgang. Ich schätzte das sehr, was er machte. Ich glaube, dass er auch meine Arbeit respektierte. Wir haben immer noch Kontakt und lachen bei unseren Telefonaten viel. Meist, wenn wir über Menschen herziehen, mit denen wir beruflich zu tun hatten. Da sind wir wie richtige Klatschweiber.

    Dr. Alexandra Hildebrandt: Woran spürten Sie, ob „freundschaftliches“ Interesse von beruflichen Interessen oder Vorteilssucht geprägt wurde?

    Waldemar Hartmann: Naja, das kam schon vor. Wenn ich es gemerkt habe, war der Ofen schnell aus. Andererseits aber habe ich ja auch von solchen Verbindungen profitiert. Da erfährt man dann schon mal Dinge, die einem sonst verborgen bleiben. Man muss das halt einordnen und sich weiter in den Spiegel schauen können.

    Dr. Alexandra Hildebrandt: Früher zum „alten Eisen“ sortiert und von Werbung und Marktforschung bewusst ignoriert, weil als Konsumenten angeblich uninteressant, wird die Zielgruppe der so genannten „Best Ager“, „Silver Surfer“ oder „50plus“ zunehmend umworben. Wie passt diese Entwicklung zum Jugendwahn der ARD und anderer Sender?

    Waldemar Hartmann: Da müssen Sie die Verantwortlichen fragen. Das geht ja schon bei der Erhebung der Quoten und der sogenannten Zielgruppe im Alter von 14 bis 49 Jahren los. Jetzt hat z.B. RTL kapiert, dass auch seine Zuschauer im Schnitt älter geworden sind und schon orientiert man sich bei den Quoten nach der Gruppe der 14-59-Jährigen. Ich muss doch aus unternehmerischer Sicht meine Kundschaft mit den Angeboten bedienen, die gefragt sind. Bei den Öffentlich-Rechtlichen habe ich den Eindruck, dass die auch einem Eskimo einen Kühlschrank verkaufen wollten, wenn es der „jungen“ Quote dienen würde. Das ist mit den Olympischen Spielen vergleichbar. Da rufen auch die Opas im IOC die Jugend der Welt und machen für sie die Regeln.

    Dr. Alexandra Hildebrandt: Rudi Carrell, der nie etwas versucht hat, wovon er nicht wusste, dass er es nicht richtig konnte, sagte mir in seinem letzten Interview, dass sein Instinkt immer rechtzeitig Bescheid wusste, wann man mit etwas aufhören sollte. Hatten Sie auch dieses Gefühl, das sich auch mit „gesunder Menschenverstand“ beschreiben lässt?

    Waldemar Hartmann: Ja, da hat mich mein „Bauch“ nie getäuscht, und meine Frau war mein Seismograph. Dass es mit der ARD zu Ende gehen würde, habe ich vor den Verantwortlichen dort gespürt. Da wurden die Weihnachtskarten förmlicher und das Hüsteln vernehmlicher. Da ist es für die persönliche Hygiene wichtig, selbst eine Entscheidung zu treffen, bevor Feiglinge aus dem Hinterhalt zu schießen beginnen.

    Dr. Alexandra Hildebrandt: Was können Unternehmer von Ihnen lernen? Welche Rolle spielt dabei das Bauchgefühl, der Instinkt?

    Waldemar Hartmann: Natürlich darf man auch mal träumen, wenn es um neue Projekte geht. Für mich war aber immer wichtig, eine ganz klare Sicht der Dinge zu haben. Das hinderte mich aber nicht, auch mal ganz bewusst ein Risiko einzugehen. Ich war fast immer ein schneller Entscheider, kein Zauderer. Das hat nicht immer funktioniert, aber dann wenigstens weitere Erfahrungen gebracht. Ich kann mit den „Sowohl-als-auch, Entweder-oder, Entschiedenen-vielleicht“ –Typen wenig anfangen. Machen oder sein lassen, das ist mein Motto.

    Dr. Alexandra Hildebrandt: Ihre Freundin Petra Schürmann sagte einmal: „Wir lernen nicht das Älterwerden.“ Was bedeutet Ihnen dieser Satz?

    Waldemar Hartmann: Will ich auch gar nicht. Ich habe bei ein paar Menschen die Erfahrung gemacht, dass sie irgendwann mal innerlich entschieden haben, ab sofort alt zu sein. Sie waren es dann auch ab diesem Moment. Ich werde mich nicht offiziell zum „Alten“ erklären. Das machen dann schon die Gelenke.

    Vielen Dank für das Gespräch.

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