Ein Beitrag vom Manager, Redner und Fußballfachmann Ernst Holzmann:
Teambuilding, Führung, Motivation, Konfliktmanagement, Strategie und Taktik. Man könnte darüber „Meter von Büchern“ lesen, ohne ein Wort davon zu verstehen, oder brauchbare Tipps für die tägliche Praxis zu bekommen. Die Weltmeisterschaft in Brasilien hat dagegen perfekten – und kostenlosen – Anschauungsunterricht geboten, wie leidenschaftlich Menschen auf ein Ziel hinarbeiten können und dass am Schluss eine perfekt zusammen-gestellte und harmonierende Mannschaft immer gegen eine „simple Summe von Einzelspielern“ gewinnt. Auch am Beispiel „unserer Weltmeister“ ist die Vorgehensweise für die Zusammensetzung und Führung von erfolgreichen Mannschaften einfach nachzuvollziehen, die dafür passende Bezeichnung D.R.E.A.M. T.E.A.M. könnte man dabei wie folgt „übersetzen“.
D.R.E.A.M. T.E.A.M.
D steht für Definition von ehrgeizigen Zielen. Dabei ist es egal, ob man sich vornimmt Weltmeister, Marktführer oder „Beliebtester Arbeitgeber“ zu werden. Ehrgeizige Ziele helfen, den Fokus zu schärfen und den Einsatz der Mannschaft hoch zu halten. Zwischenziele auf dem Weg zur Spitze definieren, den Weg in kleine, überschaubare Etappen aufteilen. Eine wirkungsvolle Strategie zur Zielerreichung entwickeln und dann noch die passende Taktik (Massnahmen) festlegen. Wenn die Ziele und die entsprechende „Roadmap“ dann noch gemeinsam mit dem Team entwickelt und vereinbart werden, umso besser! Die deutsche Mannschaft wurde noch kurz vor Beginn des Turnieres für die ausgerufene Zielvorgabe „Wir wollen Weltmeister werden“ von vielen belächelt und diese Aussage als unrealistisch abgetan. Von Spiel zu Spiel konnte man aber erkennen, dass dieser Anspruch nicht pure Überheblichkeit war, sondern auf dem Bewusstsein der eigenen Stärken, eines klaren Planes und vor allem dem unbedingten Willen aller Beteiligten beruhte.
R wie Rollen verteilen; oder „der richtige Mann am richtigen Platz“. Klare Zuordnung von Aufgaben und Verantwortungen auf Basis der Stärken der einzelnen „Spieler“ beseitigt Missverständnisse im Team, jeder kann sich auf seine Position konzentrieren und Verschwendung von Energie wird vermieden. Die Schnittstellen beim Zusammenspiel müssen definiert sein, keiner darf sich aus der Verantwortung stehlen. Den Leistungsstand der Spieler überprüfen und bei Bedarf (z.B. bei neuen, anspruchsvollen Aufgaben) entsprechende Hilfestellungen und/oder Training anbieten. Man könnte die Vorgehensweise bei der Rollenverteilung und Übertragung der entsprechenden Verantwortung nicht besser beschreiben als Robert Waterman (Amerikanischer Unternehmensberater): „Geben Sie Ihren Mitarbeitern genau die Arbeit, bei der sie ihre Fähigkeiten voll ausschöpfen müssen. Geben Sie ihnen dabei alle notwendigen Informationen und erläutern sie ihnen klipp und klar, was es zu erreichen gibt. Und dann – lassen Sie sie in Ruhe!“ Auch wenn bei unserem Team in Brasilien manchmal (z.B. im Spiel gegen Ghana oder gegen Algerien) die Besetzung der Spielpositionen „suboptimal“ erschien, am Schluss bestätigte der Titelgewinn die richtigen Entscheidungen bzgl. Aufstellung und vor allem bei den letztendlich entscheidenden Ein-/Auswechslungen (Mario Götze!) im Endspiel.
E Eingreifen und Entscheiden. Auf dem Weg zum gemeinsamen Ziel den Fokus/die Richtung nicht verlieren und ganz wichtig: Aufmerksam und im ständigen Kontakt mit der Mannschaft bleiben und bei Abweichungen eingreifen. Gerade dieses „nicht laufen lassen“ wird von den Spielern erwartet, egal ob im Erfolg oder Misserfolg. Auch hier hat z.B. Jogi Löw Führungsstärke bewiesen, als er trotz des Sieges im Spiel gegen Algerien auf die unzureichende Leistung der Mannschaft reagierte. Das System wurde angepasst, Mitarbeitern (Lahm, Boateng) neue Aufgaben zugewiesen und frische Kräfte (Klose, Schweinsteiger) eingesetzt. Frühzeitiges Konfliktmanagement vermeidet unnötige Eskalationen und Störungen innerhalb der Mannschaft oder des „Betriebsfriedens“. Zu den entsprechenden Gesprächen ist es oft auch ratsam, neutrale Moderatoren (bei Unternehmen z.B. gerade auch aus der Personalabteilung) hinzuzuziehen, um sachlich und objektiv (und nicht emotional und befangen) urteilen und entscheiden zu können.
A wie Anreize und Atmosphäre schaffen. Menschen, egal auf dem Platz oder im Büro, arbeiten zwar für Geld, aber nicht ausschliesslich. „Man muss aus seinem Unternehmen den aufregendsten Ort der Welt machen“, das war die Maxime des legendären Jack Welch, Ex-CEO von General Electric. Oder wie Philipp Lahm seine Motivation beschrieb, als er den Cup in der Hand hielt: „Ich wollte nicht schon wieder von unten zugucken, sondern das Ding endlich einmal selber hochhalten.“ Diese Sehnsucht nach etwas Aussergewöhnlichem, als Teil eines „ganz Großen zu sein“, Beachtung zu finden, gemeinsam mit Kollegen/innen etwas Besonderes zu erreichen, treibt Menschen mehr an, als nur eine ganz normale Siegprämie. Wenn schon monetäre Anreize geschaffen werden, wäre es fatal, diese nur für einzelne Mitarbeiter auszuloben und andere Teamplayer auszugrenzen. Gemeinsam hart arbeiten, gemeinsam Spass haben, sowie „gleiches Recht für Alle“ lautet hier die Devise.
M gleich Mischung. Erfahrung und Jugendliche Unbekümmertheit, Experten und „Querdenker“, Introvertierte und emotionale Typen, weibliche und männliche „Spieler“. So macht die Arbeit im und mit dem Team Spass, es kommt keine Langeweile auf, gute Ideen fallen nicht unter den Tisch und man kann voneinander lernen. Für die Unternehmen bedeutet dies ganz besonders, dass die Suche nach Talenten (die auch empathische Führung und Freiräume erwarten) immer wichtiger wird, dass Cross-Funktionale Teams meistens bessere Ergebnisse abliefern als eine reine „Experten-Mannschaft“ und dass die „Alten“ mehr denn je unverzichtbar werden. Es hatte schon seinen Grund, dass in Brasilien unterschiedliche Spielertypen in den „Wohngemeinschaften“ untergebracht wurden, auch zur Stärkung des Mannschaftsgeistes und zur Vermeidung entsprechender Gruppenbildung. Und ein „Podolski“ tut jedem Team gut, gerade wenn´s mal nicht so richtig läuft.
T wie Teamgeist entwickeln und pflegen. Jeder ist gleich wichtig, es darf keine „Lieblings- und Ersatzspieler“ geben. Dazu gibt es aus meiner Sicht neben Jogi Löw kein besseres Vorbild als Jupp Heynckes, lange Jahre erfolgreicher Trainer von Spitzenteams. Hermann Gerland (viele Jahre sein Co-Trainer) beschrieb dessen Arbeitsstil einmal so (Interview im Fußball Magazin „11 Freunde“, Juli 2013): „Jupp hat nämlich eine unvorstellbar wichtige Fähigkeit: Er vermittelt jedem Mitarbeiter, dass er wichtig ist. Den Spielern und allen drum herum. Ob für den Platzwart, den Zeugwart oder die Angestellten auf der Geschäftsstelle, er hat für sie immer ein nettes Wort“. Gerade bei bevorstehenden Veränderungen, beim Setzen anspruchsvoller Ziele oder beim Übernehmen einer neuen Mannschaft ist nichts besser, als den ersten Tag nicht mit langweiligen Ansprachen oder beschwörenden Reden zu gestalten, sondern das Team im wahrsten Sinne des Wortes „mitzunehmen“ und zwar zu einer Veranstaltung ausserhalb der gewohnten Umgebung. Egal ob in einem Biergarten, auf einer Bowlingbahn, bei einer gemeinsamen Bergwanderung oder bei sonstigen Aktivitäten. Hier hat man endlich in ungezwungener Atmosphäre Zeit, den „Mitspieler“ (oder Coach) besser kennenzulernen, sich auszutauschen und vielleicht sogar gemeinsame Interessen zu entdecken. Nicht nur um dem „Lagerkoller“ zu entgehen, wählte das Trainerteam um J. Löw deswegen bewusst Aktivitäten jenseits des Fußball-Platzes, wie gemeinsame Ausflüge egal ob „zu Lande oder auf dem Wasser“.
E Einsatz zeigen und verlangen. „Erfolg hat drei Buchstaben: TUN!“ Getreu dieser Lebensweisheit von J. W. v. Goethe basiert Erfolg mehr auf „Transpiration“ als auf Inspiration. Und dies betrifft nicht nur die Mannschaft im Spiel, oder beim Training, sondern ganz besonders den Coach am Spielfeldrand. Morgens der Erste, Abends der letzte ist hier der Anspruch an die Verantwortlichen. Vorleben statt nur „Vorbeten“, nicht von anderen verlangen, was man selbst nicht bereit ist zu tun. Selbstdarsteller, die sich bei Erfolgen in den Vordergrund drängen und bei Misserfolgen die Schuld beim Team suchen, sind deswegen als Führungspersönlichkeiten unerwünscht, ob „an der Seitenlinie“ oder als Manager im Unternehmen. Sich nicht unterkriegen/klein kriegen lassen, leidenschaftlich für seine Ziele kämpfen. Das sind eher Eigenschaften für erfolgreiche Menschen, egal ob im Beruf oder auf dem Platz. Herausragendes Beispiel dafür ist Bastian „Kampf-Schweinsteiger“, der im Endspiel gegen Argentinien Gott sei Dank öfters aufstand als er „hingefallen wurde“ und auch mit seinem Beispiel die anderen Spieler zu entsprechendem Einsatz auf dem Weg zum Titel anspornte.
A Achtung des Einzelnen Gerade die Reaktion der nach dem Spiel gegen Algerien nicht mehr berücksichtigen Spieler (P. Mertesacker, L. Podolski) Spieler zeigte, wie wichtig es bei erfolgreicher Mannschaftsführung ist, alle Beteiligten „mitzunehmen“ und harte Entscheidungen rational zu erklären und zu begründen. Bei Misserfolgen keine Sündenböcke suchen, und schon gar nicht Einzelne öffentlich diskreditieren. Dass dabei kein Missverständnis aufkommt: Respektvolles Umgehen und Achtung des Einzelnen bedeutet nach meinen Erfahrungen nicht „in Watte packen“ oder „Weggucken“. Bei Fehlverhalten und/oder mangelnder Leistung bedarf es klarer Worte, aber hier ist das „Wie“ entscheidend. Emotionen sind fehl am Platz, klare Argumentation, das Aufzeigen der Fakten bzw. von Verbesserungspotential und das Anbieten von Unterstützung stehen im Mittelpunkt. Persönliche Angriffe beschädigen massiv das Vertrauensverhältnis und zerstören die Basis für eine weitere Zusammenarbeit. Dass auch hier das Sprichwort stimmt „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus“ beweist eine Aussage wieder von J. Heynckes (Interview im „Spiegel“, 16.6.13) zu den Gründen des Erfolges und der Reflektion der Spieler auf seinen Führungsstil: „Die Rekordsaison (des FC Bayern) war vor allem deswegen möglich gewesen, weil alle Spieler ihre Egoismen überwunden haben, selbst die, die das vorher nie gelernt hatten. Sogar Robben und Ribery haben plötzlich Defensiv-Aufgaben übernommen.“
M Motivation hoch halten, Mut beweisen. Herausragendes Beispiel, wie man nicht nur eine Mannschaft oder ein einzelnes Unternehmen, sondern sogar ein ganzes Land mit einem mutig gewählten Kurs motivieren, elektrisieren und mitreissen kann, ist Jürgen Klinsmann. Beim „Sommermärchen 2006“ führte er zuerst ein konsequentes „Change Management“ durch (u.a. Installation eines komplett neuen Trainer- und Betreuerstabes; Einführung neuer Trainingsmethoden), entwickelte eine konsistente Strategie (Fußball mit Leidenschaft und hoher Laufbereitschaft) und setzte davon ableitend eine konsequente Personalpolitik durch, u.a. auch mit der Aufstellung von Jens Lehmann statt Oli Kahn auf der Torwart-Position. Viel von diesem Kurs mitgenommen hat Jogi Löw, der gerade im Endspiel gegen Algerien mit einer offensiv gewählten Aufstellung (und den letztendlich entscheidenden Einwechslungen) „auf Sieg spielte“, während die Argentinier in erster Linie in der regulären Spielzeit nicht verlieren wollten. Auch den Verantwortlichen in Unternehmen wünscht man diesen Mut, den eingeschlagenen Kurs nicht zu verlassen, gerade bei ersten Rückschlägen und zunehmendem Druck der unterschiedlichen Interessengruppen. Kühl die Ursachen für Zielabweichungen analysieren, beharrlich bleiben, argumentieren statt zu resignieren und sich im Zweifel bei Angriffen auf das Team auch vor dieses stellen. Dass sich hier „die Spreu vom Weizen trennt“ ist auch klar, weil nach einer fernöstlichen Weisheit „bei ruhigem Wetter jeder leicht Steuermann sein kann…“
Man könnte jetzt über Führung und die Bausteine eines DREAM TEAMS noch lange philosophieren, aber ich persönlich halte es jetzt erstmal mit Karlheinz Riedle (Ex-Fußball-Profi), der passend zu den letzten Wochen mal gesagt hat: „Es war eine lange, kraftraubende Saison und ich werde mich erstmal regen…, regeneren…, ach was, ich fahr erst mal in Urlaub!“
Vielen Dank an Ernst Holzmann für diesen interessanten Beitrag!
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